In einem kleinen Ort in Oberösterreich wurde 1938 eines der vielen nationalsozialistischen Konzentrationslager errichtet: das KZ Mauthausen. Es bestand von 1938 bis 1945. Geleitet und bewacht wurde das Lager von der SS. Die Menschen, die hier gefangen waren, kamen aus vielen Ländern Europas: aus Polen, Russland, Frankreich, Italien, Deutschland, Österreich usw. Sie waren politische Gegner, gehörten zu Randgruppen (z. B. „Kriminelle“, „Asoziale“) oder wurden aus antisemitischen und rassistischen Gründen verfolgt (z. B. Juden). Meist waren die Gefangenen Männer, aber auch Frauen und Kinder waren darunter.

 

Im Steinbruch von Mauthausen mussten die Häftlinge schwerste Zwangsarbeit leisten. In den über 40 Außenlagern (Gusen, Steyr, Linz, Ebensee, Wien...) wurden sie für die Rüstungsindustrie eingesetzt. Die Menschen hausten in überfüllten Unterkünften. Sie bekamen zu wenig Essen und Kleidung, sie verhungerten und starben an Krankheiten. SS-Männer erschlugen und erschossen zahlreiche Häftlinge oder ermordeten sie in der Gaskammer von Mauthausen. Insgesamt waren beinahe 200.000 Menschen im KZ Mauthausen und in seinen Außenlagern eingesperrt. Jeder Zweite kam ums Leben.

 

Das KZ Mauthausen war auf einem Hügel und aus großer Entfernung sichtbar. Viele Menschen hatten mit dem Lager zu tun: Sie hatten dort ihren Arbeitsplatz, belieferten das Lager oder kannten SS-Männer. Fast alle wussten vom Todeslager. Oft verübten die SS-Männer die Verbrechen vor den Augen der Bevölkerung. Am 5. Mai 1945 wurde das KZ Mauthausen von US-amerikanischen Truppen befreit.

 

Hier lernst du die Geschichte eines Menschen kennen, dessen Leben mit dem KZ Mauthausen verbunden war.

Franz Jäger

Text: Evelyn Steinthaler – Illustration: Johannes Doppler

Im September 1944 wird im nationalsozialistischen Deutschen Reich der sogenannte „Volkssturm“ gebildet. Alle nicht zur Wehrmacht eingezogenen waffenfähigen Männer zwischen 16 und 60 Jahren müssen sich zum Volkssturm melden. Er wird zur Verteidigung des „Heimatbodens“ herangezogen und soll dem „Endsieg“ des Deutschen Reiches dienen. Eine militärische Ausbildung, wie sie die Soldaten der Wehrmacht erhalten, gibt es für die Männer des Volkssturms nicht. Sie bekommen auch keine Uniform. Nur eine Armbinde weist ihre Rolle aus: „Deutscher Volkssturm – Wehrmacht“. Zu ihren Aufgaben gehören Bauarbeiten, Sicherung und Verteidigung von Ortschaften.

Auch Franz Jäger aus Hagenberg im Mühlviertel gehört dem Volkssturm an. Er lebt in Schwertberg, ist 44 Jahre alt, Hausschuherzeuger und seit 1940 verheiratet. Am frühen Morgen des 2. Februar 1945 wird er vom Feuerwehrführer Hoffmann geweckt: Franz Jäger soll sich mit dem örtlichen Volkssturm auf die Suche nach sowjetischen Kriegsgefangenen machen, die nur wenige Stunden vorher aus dem Block 20 des KZ Mauthausen ausgebrochen sind. Über 500 waren am Fluchtversuch beteiligt, etwa 100 wurden beim Kampf an der Lagermauer erschossen, aber über 400 Kriegsgefangene konnten entkommen. Jäger hat am Vorabend gefeiert und ist erst um vier Uhr in der Früh nach Hause gekommen. Er weigert sich mitzugehen. Aber um sechs Uhr holt ihn schließlich Ortsbauernführer Karl Glinsner zur Jagd auf die geflüchteten KZ-Häftlinge ab. Die Lagerleitung des KZ Mauthausen unter Franz Ziereis hat zur sogenannten „Hasenjagd“ nach diesen Männern aufgerufen, die mit dem Mut der Verzweiflung dem sicheren Tod im KZ entkommen wollen. Es seien flüchtige „Schwerverbrecher“, die „alle erschossen werden müssen“, verkündet der Volkssturmkommandant von Schwertberg, Norbert Niedermayr, auf dem Marktplatz.

Die flüchtigen KZ-Häftlinge sind bis auf wenige Ausnahmen Angehörige der Roten Armee. Sie wurden nach Fluchtversuchen oder Widerstandshandlungen als sogenannte „K-Häftlinge” ins KZ Mauthausen gebracht, um dort ermordet zu werden. Sie sind keine einfachen Soldaten, sondern Offiziere oder ranghohe Unteroffiziere.

 

Neben dem Volkssturm sind SS, SA, Gendarmerie, Wehrmacht, Feuerwehr und Hitlerjugend dazu aufgerufen, die Flüchtigen zu jagen und zu töten. Es schließen sich aber auch zivile Personen der „Hasenjagd“ an, die ohne jegliche Anweisung mit ihren privaten Waffen auf die Geflüchteten schießen.

 

Franz Jäger wird an diesem frühen Morgen als Verstärkung auf den Hof von Theresia Luegmayr abkommandiert, wo er gleich nach seiner Ankunft damit droht, Geflüchtete zu erschießen. Auf den umliegenden Bauernhöfen kommt es bereits zu Erschießungen. Jäger durchsucht gemeinsam mit Josef Bernhard, der ebenfalls hierher kommandiert wurde, den Heuboden.

Tatsächlich finden sie im Heu versteckt einen Geflüchteten. Jäger will erst Bernhard dazu bringen, auf den Mann im Heu zu schießen, doch Bernhard verweigert die Aufforderung. Als sich Bernhard abwendet, schießt Franz Jäger den am Boden Liegenden in die Stirn. Der von Jäger erschossene Kriegsgefangene ist einer von mehr als 400 Ermordeten der „Mühlviertler Hasenjagd”. Nur bei acht Geflüchteten weiß man mit Sicherheit, dass sie überlebt haben, zum Beispiel weil sie von Bauernfamilien aus der Umgebung versteckt wurden.

 

In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg stehen „Hasenjagd”-Täter wegen Kriegsverbrechen als Angeklagte vor sowjetischen Militär- oder österreichischen Volksgerichten. Auch gegen Franz Jäger wird im Juni 1946 auf dem Gendarmerieposten in Schwertberg Anzeige erstattet. Der Prozess findet vor dem Volksgericht Wien statt. „Der Beschuldigte gibt zu, den Schuss abgefeuert zu haben, verantwortet sich aber mit Notwehr“, heißt es im Gerichtsprotokoll. Jägers Behauptung, der geflohene KZ-Häftling habe ihn mit einem Eisenstück bedroht, wird vor Gericht kein Glaube geschenkt.

Auch seine Alkoholisierung nach seinem vorabendlichen Trinken wird vom Gericht nicht als mildernder Umstand anerkannt. Das Volksgericht verurteilt Franz Jäger 1948 zu zwölf Jahren schwerem Kerker. Seine Strafe sitzt er zunächst in der Justizanstalt Stein an der Donau ab.

 

Sieben weitere Täter erhalten von den Volksgerichten langjährige Haftstrafen, während zum Beispiel der wegen „verbrecherischer Befehlsausgabe“ angeklagte Schwertberger Volkssturmkommandant Niedermayr nach widersprüchlichen Zeugenaussagen freigesprochen wird. Anfang der 1950er Jahre werden die verurteilten Täter der „Mühlviertler Hasenjagd“ vorzeitig entlassen.

 

1953 richtet der österreichische Innenminister Oskar Helmer ein Schreiben an den Justizminister Josef Gerö. Dem Brief ist eine Liste von zwanzig Personen beigefügt, die anlässlich von Weihnachten für eine Begnadigung empfohlen werden. Auch Franz Jäger steht auf dieser Liste. „Sein Delikt ist ein rein militärisches Befehlsdelikt, das er sich als Volkssturmmann zuschulden kommen ließ“, so Helmer. Franz Jäger wird begnadigt und am 18. Dezember 1953 aus der Haft entlassen.

 

Er kehrt nach Schwertberg zurück, wo er bis 1957 lebt. Dann übersiedelt Franz Jäger nach Steyr und lebt dort bis zu seinem Tode im Jahr 1972.

Zum Weiterdenken …

Was erfährst du in der Geschichte darüber, wie sich bei der „Mühlviertler Hasenjagd“ Menschen gegenüber Geflüchteten verhalten?

 

Franz Jäger wird 1953 begnadigt, weil er „nur“ auf Befehl gehandelt hat. Wer trägt deiner Meinung nach die Verantwortung für eine Tat: Der Mensch, der den Befehl gibt? Derjenige, der den Befehl ausführt? Oder beide?

 

Damals sind für viele Menschen die geflüchteten K-Häftlinge Feindbilder. Wie wird heute deiner Wahrnehmung nach über geflüchtete Menschen berichtet und gesprochen?

 

Frage euren Guide zu Beginn des Rundgangs an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, ob ihr den Bereich des ehemaligen Block 20 besuchen könnt.

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